HOW YA GOING TO KEEP 'EM DOWN ON THE FARM AFTER THEY'VE SEEN PAREE ?

STAFFEL 1, FOLGE 1 :

BALMAIN PODCAST

Der Varieté-Hit von 1919, „How Ya Gonna Keep ‘Em Down On The Farm After They‘ve Seen Paree“, mag simpel und albern wirken und einen viel zu langen Titel haben – aber im Kern enthält er eine bleibende Wahrheit: Der Charme von Paris ist manchmal zu stark, um ihm zu widerstehen. In dieser ersten Episode von L‘Atelier Balmain lernen wir zwei Provinzler kennen – Pierre Balmain aus Saint-Jean-de-Maurienne in den französischen Alpen und Olivier Rousteing aus Bordeaux im Südwesten Frankreichs –, die beide als junge Männer in die französische Hauptstadt gezogen wurden und schließlich für die Kollektionen von Balmain zuständig waren, während sie zu echten Parisern wurden.

Maurice Balmain wurde 1884 geboren und stammte aus einer wohlhabenden Familie in Saint-Jean-de-Maurienne. Er und Pierres Mutter Françoise liebten das Theater und spielten oft Stücke mit lokalen Gruppen. Es war ihre Kostümsammlung, derer sich Pierre Balmain bediente, wenn er Freunde und Studenten für seine Stücke zusammentrommelte. Maurice Balmain starb jung und hinterließ hohe Schulden, was seine Witwe Françoise dazu zwang, wie ihre beiden Schwestern im örtlichen Bekleidungsgeschäft Les Galeries Parisiennes zu arbeiten. Paris und die Mode spielten also bereits sehr früh eine große Rolle im Leben von Pierre Balmain.

Pierre Balmains Heimatstadt Saint-Jean-de-Maurienne ist ein kleines Dorf, das hoch oben in den Bergen von Savoyen liegt. Savoyen ist eine abgelegene und schöne Alpenregion Frankreichs an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Der Familienname von Pierre Balmain unterstreicht – wie er gerne betonte – auf einzigartige Weise die tiefe Verbundenheit seiner Familie mit der Region. Eine lokale Legende besagt, dass Dorfbewohner vor Jahrhunderten einen kleinen Jungen gerettet haben, der bewusstlos hoch in den benachbarten Bergen gefunden wurde. Nachdem sie ihn nach St. Jean zurückgebracht und wiederbelebt hatten, konnte er sich weder an seinen Namen noch an seine Herkunft erinnern. Da sie ihn auf dem nahe gelegenen Berg Balm gefunden hatten, beschlossen die Dorfbewohner, ihn Balmain zu nennen.

FRANÇOISE BALMAIN

Pierre Balmains Mutter, Françoise Balmain (geboren 1894 als Françoise Ballinari), war französischer und italienischer Abstammung. Ihr Vater stammte aus dem Tessin, der nahe gelegenen italienischen Schweiz. Madame Balmain scheint Olivier Rousteing zufolge eine sehr stilvolle Frau gewesen zu sein und es genossen zu haben, in ihrer konservativen Kleinstadt Saint-Jean-de-Maurienne einen gewissen Einfluss zu haben. Sie tat, wonach ihr der Sinn stand – z. B. Berge besteigen, um Ski zu fahren, lange bevor es für Frauen akzeptabel war, Hosen zu tragen, geschweige denn Ski zu fahren! Darüber hinaus zeichnete sie sich dadurch aus, dass sie sich stets gemäß der neuesten Pariser Mode kleidete.

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OLIVIER ROUSTEING 

Olivier Rousteing wurde 1985 in Bordeaux im Südwesten Frankreichs geboren. Schon in sehr jungen Jahren war er fest entschlossen, nach Paris zu ziehen – genau wie der junge Pierre Balmain –, um in der Modebranche zu arbeiten.

DIE ERSTE MODENSCHAU IN DER PARISER OPER

Olivier Rousteing erinnert sich noch gut an den Moment, als er sich selbst versprach, nach Paris zu ziehen und wunderschöne Dinge zu kreieren. Das war im zarten Alter von zehn Jahren, als er im Rahmen eines Familienurlaubs zum ersten Mal die französische Hauptstadt besuchte. Am letzten Abend dieser Reise hatten er und seine Eltern Karten für die Pariser Oper. Als er Garniers Meisterwerk betrat, war Rousteing wie so viele andere vor ihm von der unglaublichen Schönheit der Innenausstattung des Gebäudes beeindruckt. Als Olivier Rousteing beschloss, seine Frühjahrskollektion 2018 in der Pariser Oper zu zeigen, schickte er eine Botschaft in die Vergangenheit und schrieb einen sehr persönlichen Brief an den zehnjährigen Olivier Rousteing – den Jungen aus Bordeaux, der mehr als zwei Jahrzehnte zuvor zum ersten Mal Paris besucht hatte. In seiner Nachricht an sein jüngeres Selbst erinnerte Rousteing sich daran, wie sehr ihn Garniers schillerndes Interieur umgehauen hatte und wie diese überwältigende Schönheit in ihm den Traum geweckt hatte, in die französische Hauptstadt zu ziehen und dort als Designer zu arbeiten. Dieses Video von Balmains Frühjahrskollektion 2018 zeigt ganz eindeutig, dass Garniers goldener Touch durchaus auch heute noch beeindrucken kann.

Balmain und das Ballet de l‘Opera de Paris

Olivier Rousteings Liebe zur Schönheit des Opéra Garnier Gebäudes wurde noch stärker, als er in enger Zusammenarbeit mit dem Team des Ballet de l‘Opera de Paris die Kostüme für Sébastien Bertauds Renaissance entwarf. Bertauds Werk ist eine Hommage an die Eleganz, Raffinesse und Fülle der legendären Ecole de Danse Française – und passt damit perfekt zu Balmains einzigartigem Erbe luxuriöser Handwerkskunst. Die Ballett-Entwürfe von Olivier Rousteing, die jetzt Teil der Opern-Kollektionen sind, unterstreichen sowohl das renommierte Savoir-faire des Balmain Ateliers als auch den einzigartigen, modernen Stil des Designers: beeindruckende goldene und silberne Verzierungen auf hautfarbenen Kostümen sowie Strasssteine und Perlen, die direkt auf Bodys, Strumpfhosen und drapierte T-Shirts gestickt wurden.

HENRY EDWARD MOLYNEUX 

Pierre Balmains erster Job in der Modebranche war die Arbeit für Henry Edward Molyneux, einen eleganten britischen Designer, der von Freunden und Kollegen „The Captain“ genannt wurde, da ihn seine frühere militärische Laufbahn die Sehkraft auf einem Auge gekostet hatte. Als Balmain begann, für ihn zu arbeiten, war Molyneux auf dem Höhepunkt seines Erfolges in der Pariser Modebranche und kleidete die großen Stars der damaligen Zeit, darunter Greta Garbo, Marlene Dietrich und Vivien Leigh. Wie Balmain in seinen Memoiren erklärt, war das Wichtigste, was er von Molyneux lernte, alles zu vermeiden, was man als „überflüssig“ bezeichnen könnte. Stattdessen bläute Molyneux ihm ein, wie wichtig es sei, sich auf die Kraft und Stärke von Konstruktion und Einfachheit zu konzentrieren. Balmain lernte vom Meister, wie man alles auf das Wesentliche reduziert und mit möglichst wenigen Worten sagt, was gesagt werden muss. Molyneux betonte, dass es in der Couture keine größere Herausforderung gebe als das Entwerfen eines schönen, einfachen Kleides.

BALMAIN PODCAST
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Militärdienst

Pierre Balmain gelang es, seine Stelle bei Molyneux auch nach seiner Einberufung zum französischen Militärdienst 1936 zu behalten. Da er in Paris stationiert war, blieb Balmain einfach vom Dienst fern, um stattdessen bei Molyneux zu arbeiten. Nach dem Ende seiner Wehrpflicht wurde Balmain 1939 erneut einberufen, nachdem Deutschland in Polen eingefallen war und der Zweite Weltkrieg begann. Balmain wurde in seine Heimat Savoyen zurückgeschickt, um sich der französischen Alpenverteidigung anzuschließen. Nach dem Fall Frankreichs verließ sich Balmain auf die Freundschaft seiner Familie mit den örtlichen Behörden, um das Schicksal zu vermeiden, das so vielen anderen Franzosen seines Alters widerfuhr: nach Deutschland geschickt zu werden, um als Zwangsarbeiter für die Kriegsmaschinerie der Nazis zu arbeiten.

LUCIEN LELONG 

Lucien Lelong, der Chef des mächtigen Handelsrates, der die Standards, Verfahren und Regeln für die Modeindustrie festlegte, war fest entschlossen, die Pläne der Nazis zur Verlagerung der Pariser Mode- und Textilhäuser nach Deutschland zu vereiteln. Ein solcher Schritt hätte den Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen in Frankreich bedeutet und das ohnehin schon beträchtliche Leid im Land noch erhöht. Lelong fuhr von Paris nach Savoyen, um Balmain davon zu überzeugen, nach Paris zurückzukehren und für ihn zu arbeiten. Balmain kehrte in die besetzte französische Hauptstadt zurück, um für Lelongs Couture-Haus zu arbeiten – gemeinsam mit Christian Dior, einem anderen französischen Designer. Dior war der Ruhepol und besänftigte die Gemüter, wenn Lelong und Balmain eine ihrer vielen Auseinandersetzungen hatten. Obwohl Dior und Balmain sehr unterschiedliche Persönlichkeiten hatten, wurden die beiden zu Freunden und Verbündeten, und sie sprachen oft über ihren Traum, ein eigenes Modehaus zu eröffnen – oder vielleicht sogar Lelong zu verlassen, um gemeinsam ein neues Pariser Couture-Haus zu gründen.

BALMAIN PODCAST
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PARIS WIRD BEFREIT

Wie so viele andere verfolgte Pierre Balmain während der Nazi-Besetzung aufmerksam die Nachrichten der BBC, als das englische Radio über die Vorstöße der Alliierten berichtete, die sich nach dem Erfolg der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 quer durch Frankreich arbeiteten. In seinen Memoiren erinnert sich Pierre Balmain daran, dass er gerade mit seinem Freund, dem Designer Cristóbal Balenciaga, zu Abend aß, als die Pariser hörten, dass ihre Stadt endlich befreit worden war. Er schreibt über die unglaublichen Emotionen, die alle empfanden, als sie hörten, wie ganz Paris in die Marseillaise ausbrach, während General Leclercs französische Streitkräfte endlich in die Stadt einzogen.

44 RUE FRANÇOIS PREMIER 

Der Optimismus, den die Befreiung mit sich brachte, veranlasste Pierre Balmain dazu, Lucien Lelong endlich zu verlassen und sein eigenes Modehaus zu gründen. Während er einem Freund bei der Wohnungssuche half, sah er in der Rue François Premier ein aristokratisches Stadthaus, das zuvor von Nazi-Soldaten beschlagnahmt worden war. Als er hörte, dass die Eigentümer planten, die Räume für gewerbliche Zwecke freizugeben, traf Pierre Balmain spontan eine lebensverändernde Entscheidung: Die Räume der Rue François Premier 44 sollten das neue Atelier und der Showroom für sein neues Modehaus werden – die Maison Balmain. Diese Adresse blieb in der 75-jährigen Geschichte des Hauses als Standort von Balmains ikonischem Pariser Flaggschiff erhalten.

HOW YA GONNA KEEP 'EM DOWN ON THE FARM ? 

Vor mehr als 100 Jahren, im Jahr 1919, war einer der größten Musical-Hits Amerikas ein kurzes Liedchen mit einem sehr langen Titel: „How You Going To Keep Them Down On The Farm After They’ve Seen Paree?“, was auf Deutsch heißt: Wie wollt ihr sie auf der Farm halten, nachdem sie Paris gesehen haben? Es war nur ein einfaches und sehr albernes Lied – aber die Wahrheit ist, dass es einige bedeutende Veränderungen widerspiegelt, die damals in den USA stattfanden, sowie eine bleibende Wahrheit, die wir heute leicht verstehen können.

BALMAIN PODCAST

Der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen, und die Kosten dieses Krieges waren unglaublich hoch. Nach all dem Schmerz und all den Opfern schien die amerikanische Populärkultur darauf erpicht zu sein, das Blatt zu wenden und sich schnell wieder leichteren und unbeschwerteren Themen zuzuwenden. Anstatt das Leid der Soldaten zu thematisieren, geht der Song beispielsweise auf das ein, was die jungen Männer auf der anderen Seite des Atlantiks gesehen haben – Sehenswürdigkeiten, die sich viele von ihnen vorher nicht hätten vorstellen können. Paris zum Beispiel. Die Stadt war ein völliger Gegensatz zu dem, was viele der Jungen gewohnt waren. Es war offen. Aufregend. Voller Schönheit, Inspiration und Kreativität. Wie kann man ernsthaft erwarten, dass diese jungen Soldaten mit der Rückkehr in ihr früheres Leben in Kleinstädten und abgelegenen Bauernhöfen zufrieden sein würden, nachdem sie die Schönheit, Eleganz und Aufregung der Stadt der Lichter erlebt haben?

Und wir alle verstehen es – sofort. Der Songtitel sagt alles. Wie zur Hölle glaubst du, dass du sie nach Paris auf der Farm halten kannst? Es ist eine uralte, oft wiederholte Frage. Und es sind beileibe nicht nur die Amerikaner, die diese Frage gestellt haben. Jeder, der die Stadt schon einmal besucht hat, kann das gut verstehen. Paris mit seinen berühmten Avenuen, seiner beeindruckenden Architektur und seiner wunderschönen Eleganz übt seit Jahrhunderten eine geradezu magnetische Anziehungskraft aus. Vor allem aber ist sie seit jeher ein beliebtes Ziel von Künstlern und anderen kreativen Talenten, denen es oft sehr schwer fällt, die Stadt wieder zu verlassen, sobald sie merken, wie inspirierend die Umgebung sein kann.
 

How ya gonna keep ‘em down on the farm
After they've seen Paree‘ How ya gonna keep ‘em away from Broadway Jazzin around and paintin‘ the town How ya gonna keep ‘em away from harm, that‘s a mystery Imagine Reuben when he meets his Pa He‘ll kiss his cheek and holler ‘OO-LA-LA! How ya gonna keep ‘em down on the farm After they‘ve seen Paree‘?
    • Photo Credits

      01 : © Archives Balmain, all rights reserved
    • 02 : Saint-Jean de Maurienne en Savoie, Alpes françaises Photo: Semnoz; Wikipedia Commons
    • 03 : USA Library of Congress, Public Domain Image
    • Credits :

      Balmain Creative Director: Olivier Rousteing
    • Music: La Marseillaise
    • Music: How Ya Gonna Keep ‘Em Down On The Farm (After They’ve Seen Paree?) by Eddie Cantor
    • Recording: INA Broadcasts of Pierre Balmain
    • Additional Music: Jean-Michel Derain
    • Episode Direction and Production: Seb Lascoux
    • Balmain Historian: Julia Guillon
    • Episode Coordination: Alya Nazaraly
    • Research Assistance: Fatoumata Conte and Pénélope André
    • Digital Coordination/Graphic Identity: Jeremy Mace
    • Episode researched, written and presented by John Gilligan
    • Podcast Webpage layout and text: John Gilligan
    • To explore further:

      The Autobiography of Alice B Toklas by Gertrude Stein, Illustrated by Maira Kalman (Penguin 2020)
    • Horst Photographer Of Style; Susanna Brown (Victoria and Albert Museum)
    • Pierre Balmain’s Autobiography: My Years and Seasons, (Doubleday, 1965)